Urteil zu weiblicher Genitalbeschneidung im Kanton Neuenburg
Gemäss Pressemeldungen wurde im Kanton Neuenburg am 12. Juli eine Somalierin zu einer bedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, weil sie die Verstümmelung der Genitalien (Female Genital Mutilation/Cutting, FGM/C) ihrer beiden Töchter veranlasst haben soll. Die beiden Mädchen waren sechseinhalb und sieben Jahre alt, als ihnen die äusseren weiblichen Geschlechtsorgane ganz oder teilweise entfernt wurden. Die Eingriffe wurden in Somalia bzw. in Äthiopien vor der Einreise in die Schweiz vorgenommen. Der Ehemann – von dem die verurteilte Person mittlerweile getrennt lebt – hat die Frau angezeigt.
Das Urteil ist das schweizweit erste seit der Einführung von Artikel 124 des Strafgesetzbuches (StGB, Verstümmelung weiblicher Genitalien). Das Urteil hält fest, dass FGM/C auch dann strafbar ist, wenn die Tat vor der Einreise in die Schweiz begangen wurde. Dies entspricht dem Wortlaut der Strafbestimmung von Art. 124 StGB.
Das Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz begrüsst eine strafrechtliche Verfolgung von Fällen weiblicher Genitalverstümmelung. Strafe soll auch gewärtigen, wer Mädchen in Hinblick auf eine Einreise in die Schweiz bzw. im Rahmen von Auslandsaufenthalten beschneiden lässt. Wir begrüssen indes auch, dass das Gericht der persönlichen Situation der Mutter Rechnung getragen hat, worauf das milde Urteil hindeutet. Die genaueren Umstände des Falls sind uns nicht bekannt. Aus den Medienberichten geht allerdings hervor, dass die Mutter in ihrem Herkunftsland unter hohem sozialen Druck stand, ihre Töchter beschneiden zu lassen. Sie ist selbst beschnitten und kommt aus einem bildungsfernen Umfeld.
Hinzu kommt die spezifische Konstellation des Falls: Der Vater, der Anzeige gegen die Mutter erstattet hatte, wurde dem Vernehmen nach letzten Jahres wegen Gefährdung des Lebens seiner Frau verurteilt.
Über den konkreten Fall hinaus stellen sich verschiedene, insbesondere juristische Fragen nach den Auswirkungen des Urteils, z. B. betreffend die Frage nach dem Zeitpunkt der Tat im Ausland, gerade auch im Hinblick auf eine Beweiserhebung durch die Schweizer Strafverfolgungsbehörden. Sobald das schriftliche Urteil des Strafgerichts vorliegt, gilt es, in der Diskussion des Präzedenzfalls solche Fragen gebührend zu berücksichtigen.
Abschliessend möchten wir darauf hinweisen, dass in Strafverfahren der
medizinischen und psychosozialen Versorgung der Betroffenen absolute Priorität eingeräumt werden muss. Zudem sind repressive Instrumente allein – also ein Verbot bzw. strafrechtliche Massnahmen – nicht ausreichend, um FGM/C zu verhindern, handelt es sich doch um eine soziale Norm. Präventions- und Sensibilisierungsarbeit innerhalb der betroffenen Gemeinschaften in der Schweiz und den Herkunftsländern sind notwendig, damit Umdenken und Wertewandel stattfinden können.
https://www.maedchenbeschneidung.ch/netzwerk/aktuelles/artikel/der-fall-boudry-stellungnahme-des-netzwerkes-gegen-maedchenbeschneidung-schweiz
URL in die Zwischenablage kopieren