Wie hat sich die Zahl der von FGM/C betroffenen Mädchen und Frauen in den letzten Jahren weltweit verändert? Sinkt, stagniert oder steigt sie sogar? Welche Entwicklungen lassen sich je nach Region beobachten und haben globale Krisen – die Covid-Pandemie, aber auch Krieg und Klimawandel – einen Einfluss darauf, ob die Praxis der weiblichen Genitalbeschneidung weiterbesteht oder aufgegeben wird?
Diesen spannenden Fragen geht der 2022 Progress Report on FGM/C der Global Platform for Action to end FGM/C – einem Zusammenschluss von Aktivist*innen und NGOs aus der ganzen Welt – in einem überregionalen Report nach. Hintergrund ist Ziel 5.3 der UNO-Nachhaltigkeitsziele, das festlegt, die Praxis der weiblichen Genitalbeschneidung bis im Jahr 2030 zu eliminieren. Um das (ernüchternde) Fazit der Autor*innen vorwegzunehmen: Damit dieses Ziel in den verbleibenden acht Jahren noch erreicht werden kann, müssten zehnmal schnellere Fortschritte gemacht werden als bis anhin.
Denn obwohl in den letzten 20 Jahren global gesehen die Praxis von FGM/C um fast einen Viertel zurückging, steigt die Zahl der von FGM/C bedrohten oder betroffenen Mädchen und Frauen weltweit noch immer an. Dies deshalb, weil einige Gegenden mit hohen Vorkommensraten gleichzeitig ein sehr hohes Bevölkerungswachstum aufweisen.
Dazu kommt: Wir befinden uns in einer von Krisen geprägten Zeit. Und wie der Report aufzeigt, erhöht sich für Frauen und Mädchen in Zeiten der Not das Risiko, beschnitten zu werden oder andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt wie z.B. Zwangsheirat zu erleiden.
Zu tun hat dies insbesondere mit einem krisenbedingt steigenden ökonomischen Druck. Kriegerische Auseinandersetzungen, Dürren oder andere Wetterextreme sowie eine Pandemie wie Covid 19 können Haushalte in existenzielle Not stürzen. Die von Familien in solch bedrohlichen Situationen ergriffenen Bewältigungsstrategien gehen meist zulasten der sowieso schon benachteiligten Mitglieder einer Gesellschaft - sprich Frauen und Mädchen - und verstärken die Geschlechterungleichheit. Ökonomisch unter Druck, versuchen Eltern ihre Töchter möglichst früh zu verheiraten; die Beschneidung der Mädchen ist vielerorts eine Voraussetzung dafür. Selbst FGM/C-kritische Eltern neigen in Zeiten grosser Not dazu, sich dem sozialen Druck zu beugen und bei ihren Töchtern eine FGM/C vorzunehmen, um der Armut zu entfliehen.
Studienergebnisse zeigen, dass die Zahl durchgeführter FGM/C auch durch die vielerorts verordneten Lockdowns während der Corona-Pandemie gestiegen ist. V.a. ärmere, primär im informellen Sektor tätige Bevölkerungsgruppen wurden dadurch hart getroffen. Und die Schliessung von Schulen hat die Benachteiligung der Mädchen verstärkt und es erleichtert, Beschneidungen unbeobachtet durchzuführen. Durch die pandemiebedingt reduzierten oder eingestellten Tätigkeiten internationaler NGO’s, aber auch staatlicher und zivilgesellschaftlicher Institutionen, wurde die Tat kaum geahndet und waren viele Angebote für Frauen und Mädchen eingeschränkt. Gleichzeitig kam es v.a. in Asien zu einem Rückgang von Beschneidungen in Spitälern, da diese sich während der Pandemie auf ihre Kernaufgaben beschränkten. Dies führte zu einer verstärkten Inanspruchnahme der Dienste von traditionellen Beschneider*innen, was aufgrund der prekären hygienischen Bedingungen wiederum mit höheren gesundheitlichen Risiken für die betroffenen Mädchen verbunden ist.
Was ist zu tun? Der 2022 Progress Report on FGM/C macht klar, dass für eine effektive Bekämpfung von FGM/C ein multisektoraler und mehrdimensionaler Ansatz notwendig ist, der Akteur*innen aller Ebenen miteinbezieht. Und dass es von zentraler Bedeutung ist, FGM/C und anderen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt in Zeiten von Krisen besondere Beachtung zu schenken.
Beitrag von: Simone Giger, Caritas Schweiz, Mitglied im Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz
Die Global Platform for Action to end FGM/C ist ein Zusammenschluss von Aktivist*innen und NGOs aus der ganzen Welt.
https://www.maedchenbeschneidung.ch/netzwerk/stories/fgmc-in-krisenzeiten
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