Das Bundesgericht hat im Februar 2019 das Urteil gegen eine Somalierin wegen Beschneidung ihrer beiden Töchter bestätigt. Es ist die erste Verurteilung, seit die Strafbestimmung 2012 in Kraft getreten ist. Bestraft wurde die Frau, weil sie 2013 die Beschneidung in Mogadischu, Somalia, veranlasst hatte. Das Urteil ist auf Zustimmung, aber auch auf Unverständnis gestossen.
Das Bundesgericht hat im Februar 2019 das Urteil gegen eine Somalierin wegen Beschneidung ihrer beiden Töchter bestätigt. Es ist die erste Verurteilung, seit die Strafbestimmung 2012 in Kraft getreten ist. Bestraft wurde die Frau, weil sie 2013 die Beschneidung in Mogadischu, Somalia, veranlasst hatte. Das Urteil ist auf Zustimmung, aber auch auf Unverständnis gestossen. Dieser Beitrag ist ein Kommentar des Netzwerks gegen Mädchenbeschneidung Schweiz.
Auf eine erste Verurteilung gemäss Art. 124 StGB ist lange gewartet worden. Der Druck, anhand eines Falles zeigen zu können, dass das Verbot tatsächlich auch durchgesetzt wird, ist stetig gewachsen. Getroffen hat es nun eine Somalierin, deren beide Töchter einige Zeit vor der Einreise in die Schweiz in Somalia beschnitten wurden. Das Strafverfahren in Gang gesetzt hatte der Ehemann, der seine Frau kurz nach deren Einreise in die Schweiz anzeigte.
Der Wortlaut von Artikel 124 Strafgesetzbuch lässt es zu, dass die Schweiz den unbestritten grausamen und zu verurteilenden Brauch der weiblichen Genitalbeschneidung (FGM/C) universell kriminalisieren und ahnden kann; dies unabhängig davon, ob die Praktik am Ort des Begehens auch strafbar ist und unabhängig davon, ob die Person einen Bezug zur Schweiz hat oder nicht (sog. Weltrechtsprinzip). So war es auch im vorliegenden Fall gegeben: FGM/C ist in Somalia auch heute noch nicht strafrechtlich verboten und wird auch nicht verfolgt. Praktisch alle Mädchen und Frauen sind beschnitten; aktuell beträgt die Rate der Betroffenen gemäss UNICEF immer noch 98% (siehe Zahlen von UNICEF 2018.
Die von der Schweiz getroffene Regelung geht damit weit über das hinaus, was andere Länder, zum Beispiel Frankreich und Deutschland, vorsehen. Ziel war ursprünglich, zu verhindern, dass hier lebende Mädchen in den Schulferien zum Zwecke der Genitalbeschneidung ins Ausland oder in ihre Heimatländer verbracht werden. Nun aber werden ganze Bevölkerungsgruppen kriminalisiert und mit Strafe bedroht. Dies ist umso stossender, als das Weltrechts- oder auch Universalitätsprinzip, dass hier eingeführt wurde, eigentlich für schwerste Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgesehen ist. Es soll verhindern, dass sich die Täter und Täterinnen ihrer Verantwortung durch die Flucht ins Ausland entziehen können.
Nicht gelten liess das Bundesgericht das Argument der Somalierin, sie habe nicht gewusst, dass FGM/C verboten sei und sie habe sich damit im Rechtsirrtum befunden, womit sie nicht schuldig gesprochen werden könne. Das Gericht folgerte aus der Aussage der Frau, dass die Praxis «nicht gut» sei, dass sie auch um deren Illegalität gewusst haben musste oder zumindest hätte wissen müssen. Und es lastete der Frau an, dass sie sich nicht an die lokalen Behörden gewandt und deren Rat gesucht habe. Damit liess das Gericht die konkreten Lebensumstände einer alleinstehenden Mutter mit vier Kindern in einem von Bürgerkriegen und Hungersnöten geschüttelten Land, welches kaum über eine funktionierende staatliche Infrastruktur verfügt, weitgehend ausser Acht. Dies erstaunt, insbesondere auch angesichts der Tatsache, dass die Frau kurz nach der Beschneidung der jüngeren Tochter im Herbst 2013 mit allen Kindern in ein Flüchtlingslager an der Grenze zu Äthiopien flüchtete. Das Bundesgericht stellte sich auf den Standpunkt, dass die besondere Situation, in der sich die Frau befand – der soziale Druck, fehlende Mittel, um sich wehren zu können sowie der geringe Bildungsstand – im Rahmen der Strafzumessung in genügendem Masse strafmildernd in Rechnung gestellt worden sei. Die Somalierin wurde zu acht Monaten Gefängnis bedingt auf eine Probezeit von zwei Jahren verurteilt.
Das Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung beobachtet bereits Auswirkungen des Urteils, die der Prävention nicht dienlich sind. Die entsprechenden Migrationsgemeinschaften sind stark verunsichert. Frauen, deren Kinder, und meist auch sie selber, lange vor der Einreise in die Schweiz beschnitten worden sind, haben Angst, nun ebenfalls verurteilt zu werden – mit allen Konsequenzen, die eine Verurteilung für ausländische Personen generell mit sich bringen kann. Darüber hinaus fühlen sie sich zusätzlich in Geiselhaft ihrer Männer oder weiterer Familienangehörigen genommen; sie befürchten, dass die Möglichkeit, gegen «lästig gewordene» Frauen einfach Anzeige zu erheben, Schule machen könnte. Es besteht das Risiko, dass Mütter beschnittener Mädchen sich bei Problemen in Zukunft nicht mehr ohne weiteres bei Gesundheits- oder Beratungsdiensten melden. Ob das Urteil also effektiv dazu beiträgt, Mädchen wirksam vor Beschneidungen zu schützen, oder ob es sich allenfalls sogar kontraproduktiv für die Präventionsarbeit auswirkt, bleibt offen.
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6B_77/2019, Bundesgerichtsurteil vom 11. Februar 2019
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Beitrag von: Christina Hausammann, SKMR
https://www.maedchenbeschneidung.ch/netzwerk/stories/gerichtsurteil-2019
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