Im Sommer 2023 erscheinen die neuen Empfehlungen für Gesundheitsfachpersonen zum Umgang mit weiblicher Genitalbeschneidung (FGM/C). Marisa Birri, ehemalige Projektverantwortliche bei Brava und dem Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz, hat die Erarbeitung der Empfehlungen koordiniert. Wir haben mit ihr ein Interview geführt – über Inhalte, Herausforderungen und den Entstehungsprozess.
Netzwerk: Liebe Marisa Birri – warum braucht es Empfehlungen zu FGM/C für Fachpersonen im Gesundheitsbereich?
Marisa Birri: Gesundheitsfachpersonen spielen eine überaus wichtige Rolle in der Prävention sowie in der Unterstützung von betroffenen Frauen. Es ist daher zentral, dass diese Fachpersonen Kenntnisse zum Thema FGM/C haben. Die Empfehlungen sind ein bedeutendes Puzzle-Teil für die Sensibilisierung von Gesundheitsfachpersonen - gerade auch weil die Thematik in der Ausbildung immer noch ungenügend behandelt wird.
Es gab bereits vorher Empfehlungen. Was war der Grund, diese zu überarbeiten?
Die alten Empfehlungen stammen aus dem Jahr 2005. In den vergangenen Jahren hat sich international wie auch in der Schweiz viel getan. In der Forschung gibt es neue Studien dazu, wie betroffene Mädchen und Frauen unterstützt und behandelt werden sollen. In der Schweiz wurden neue Anlaufstellen für Betroffene und Fachpersonen aufgebaut; zudem wurde 2012 ein neuer Strafartikel eingeführt. Diese Entwicklungen werden in den überarbeiteten Empfehlungen abgebildet.
Was ist neu im Vergleich zu den alten Empfehlungen?
Neu sind sicherlich Aspekte wie die Kommunikation und Gesprächsführung. Auch die Perspektive der Patient*innen wird neu besser berücksichtigt. Zudem gibt es eigene Kapitel zu «Pädiatrie» und «Kindesschutz». Dies war zuvor nicht der Fall, da der Fokus eher auf der Gynäkologie und Geburtshilfe lag. Die jetzigen Empfehlungen sind inhaltlich wie auch vom Umfang her umfassender - eine Art Grundlagendokument.
Die Empfehlungen werden von verschiedenen Fachverbänden getragen. Warum ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig?
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit bzgl. FGM/C ist wichtig, da die Thematik - gerade im Gesundheitsbereich - oftmals mehrere Fachbereiche betrifft und deshalb ein interdisziplinärer Ansatz eine Voraussetzung ist für eine optimale Betreuung betroffener Frauen sowie für die Prävention und den Schutz von gefährdeten Mädchen. So braucht es etwa die Dokumentation von FGM/C im Patient*innendossier sowie die Absprache und Koordination zwischen den verschiedenen Fachpersonen, auch damit betroffene Frauen nicht immer wieder von neuem auf FGM/C angesprochen und untersucht werden. Auch das ist Thema in den neuen Empfehlungen.
Gibt es etwas, was Sie noch erwähnen möchten?
Bei der Erarbeitung dieser Empfehlungen waren hauptsächlich Personen beteiligt, welche in der Praxis im Gesundheitsbereich arbeiten und sich nebenher zur Verfügung gestellt haben, an den Kapiteln zu arbeiten. Dies war für diese Personen eine grosse Herausforderung! Aber ich denke, dass dies die Stärke des Dokuments ist: Die Fachpersonen, welche die Empfehlungen erarbeitet haben, kommen aus der Praxis. Sie haben Erfahrung mit den Frauen, die betroffen sind – das ist spürbar.
Beitrag von: Denise Schwegler, Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz
https://www.maedchenbeschneidung.ch/netzwerk/stories/neue-empfehlungen-gesundheitsfachpersonen
URL in die Zwischenablage kopieren